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Von Sattlern und Wallstreet-Bankern - Bildung in Zeiten der Digitalisierung



Wenn ich als Kind mit meinem Vater in meiner Heimatstadt spazieren ging, blieben wir oft vor einem verfallenen Geschäftsportal stehen. "Sattler" stand dort über dem vernagelten Eingangstor. Mein Vater pflegte mir dann die Geschichte eines glücklosen Freundes zu erzählen: "Weißt du, für seine Mutter ist es ganz wichtig gewesen, dass alle ihre Söhne einen Beruf lernen. Der Karl ist bei einem Tischler in die Lehr´ gegangen und der Franz bei einem Maurer. Nur der Hans hat Pech gehabt. Den hat die Großmutter zum Sattler g´schickt, weil die Leute haben geglaubt, Pferde wird's immer geben und deshalb muss man auch immer Sättel machen. Da haben sie sich ordentlich geirrt!" Der Sattler stellte nicht schnell genug auf Motoradsitze um und ging pleite. Der junge Sattler Hans fand als Schreibkraft "im Amt" ein Auslangen und langweilte sich der Pensionierung entgegen.

Wenn ich die heutige Bildungsdiskussion verfolge, muss ich oft an diese Anekdote denken - "Pferde wird's immer geben und deshalb muss man auch immer Sättel machen". Im Gespräch im Bekanntenkreis höre ich heute ähnliche Sätze: "Ich will meinem Kind doch die Zukunft nicht verbauen. Am Gymnasium lernt es wenigstens lernen. Und das wird man immer brauchen." Ja, das wäre schön, aber stimmt das auch? Internationale Expertinnen sind sich einig: Unsere "westlichen" Bildungspläne machen die Kinder nicht zukunftsfit.

Alles, was der Mensch an Denkleistung und Umsetzungstechniken lernen kann, können Maschinen besser und bald auch billiger. Und schon heute ersetzen sie Menschen an ihrem Arbeitsplatz. Beispiele gefällig? SupermarktkassierInnen werden sukzessive durch SB-Kassen ersetzt. In Wien wird die neue U5 mit selbstfahrenden Zügen ausgestattet sein, FahrerInnen werden nicht mehr benötigt. Aber betrifft das denn die Gymnasiastinnen? Die lernen doch lernen, oder? Die sitzen doch dann auf zukunftssicheren Arbeitsplätzen?

Die schlechte Nachricht: Nicht nur Hilfskräfte oder HandwerkerInnen werden ersetzt. Auch Wissensarbeit wird in Zukunft weitgehend von Maschinen erledigt werden. An der New Yorker Wallstreet wurden seit dem Jahr 2000 ein Drittel der Finanzangestellten durch hocheffiziente Computerprogramme ersetzt. Diese treffen selbsttätig Kaufentscheidungen und wickeln diese ab. Zwar sind sich WirtschaftsforscherInnen und IT-Fachmenschen einig, dass die Digitalisierung auch neue Arbeitsplätze hervorbringen wird. Wie diese aussehen, das steht aber noch in den Sternen. Die Motoradsättel der Zukunft sind also noch nicht erfunden. Daher ist es ratsam, in Fähigkeiten zu investieren, die nicht durch Maschinen ersetzbar sind: Kreativität, Problemlösung, Empathie, Authentizität.

Ist es das, was unsere Kinder in den Schulen lernen? Diskutiert die Politik über die so wichtige Änderung der Lehrpläne? Nein, sie setzen alles daran, unsere Kinder für Berufslaufbahnen der Gegenwart auszubilden. Quasi Sattlerinnen in der NMS, Wallstreet-Banker am Gymnasium. Und natürlich brauchen wir dafür auch wieder Ziffernnoten. Ehrlich? Das ist dann auch schon irgendwie egal.

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